Internat als Chance fürs Leben

Eisbärinnen träumen von Olympia

- Kategorie: Sportnews

In den Weihnachtstagen ist nicht viel los im Haus der Athleten des Schul- und Leistungssportzentrums Berlin (SLZB) in Hohenschönhausen. Hier, direkt hinter dem großen multifunktionalen Gelände des Sportforums mit seinen Turnhallen, Fußballplätzen, Eishallen und einigem mehr, herrscht sonst äußerst munteres Treiben von hoffnungsvollen Sporttalenten verschiedenster Sportarten. Rund um den Jahreswechsel weicht das Gewusel der weihnachtlichen Ruhe. Die allermeisten sind zu Hause bei ihren Familien.
Die, die trainieren müssen, kehren aber bereits vor dem Jahreswechsel zurück. Immerhin sind trotzdem Schulferien. Das Internatszimmer von Eishockeyspielerin Elisa Pietschmann ist bereits zwei Wochen zuvor verwaist. Das liegt keineswegs daran, dass sie sich nicht wohlfühlt in ihrem derzeitigen Zuhause. Die 17-Jährige reiste quasi direkt nach dem letzten Pflichtspiel der Eisbärinnen im Pokal in Hannover zum U18-Nationalteam und dessen erster WMVorbereitungsphase nach Füssen. Hier gab es zwei Siege und eine Niederlage in Spielen gegen die Schweiz und Österreich. Nach einer kurzen, vorübergehenden Rückkehr nach Berlin ging es für sie mit einigen Spielern des U20-Teams der Eisbären Juniors zu einem einwöchigen Schulaustausch in die schwedische Hauptstadt Stockholm. Und direkt nach Weihnachten geht auch schon die Weltmeisterschafts-Vorbereitung weiter. Vom 6. bis 14. Januar 2024 hofft Pietschmann, dann dabei zu sein, bei der Juniorinnen-Weltmeisterschaft in Zug in der Schweiz. Im Internat wohnt die gebürtige Hallenserin seit Sommer 2022. „Damals war ich erst einmal drei Tage zur Probe hier und unsere ehemalige Spielerin Annabella Sterzik hat mir alles gezeigt“, erzählt Pietschmann. „Zuerst habe ich noch in Haus vier gewohnt und mir mit einer Eisschnellläuferin das Zimmer geteilt. Wir haben uns recht wenig gesehen.“
Im Internat entstehen Freundschaften fürs Leben Immer, wenn Nele Neumann, eben jene Speed Skaterin, morgens früh rausmusste, konnte Elisa Pietschmann etwas länger schlafen und umgekehrt. Auch die Gemeinschaftsduschen und die größeren Sicherheitsvorkehrungen, was die Küche angeht, machten das Leben für sie im ersten Jahr etwas schwieriger. Andererseits war auch recht viel los. „Die Handballer kamen meistens mittags vom Training und haben erst mal laut Musik gehört“, erzählt Pietschmann, die gerne mit den Jungs von den Füchsen abhing.
„Da war immer was los, es wurde nie langweilig.“ In diesem Sommer konnte die Eishockeyspielerin nun aber umziehen. Aufgrund ihres „Nachwuchskader-Status 1“ als U18-Nationalspielerin. Jetzt hat sie ein Zimmer für sich alleine und auch ein eigenes Bad. Die Küche kann sie benutzen, wenn sie möchte. Und es gibt noch zwei andere Eisbärinnen im Haus drei: Leni Schmidt und Siena Müller-Maldonado.
Letztere kam vor dieser Saison nach Berlin. „Am Anfang hab ich mich eher an Pietschi gehalten“, erzählt die aus Tübingen stammende Stürmerin. „Wenn man sich hier eine Weile eingelebt hat, edet man dann auch mehr mit anderen Sportlerinnen, wenn man sich zum Beispiel in der Küche trifft.“
„Aus meiner persönlichen Erfahrung ist das Haus der Athleten eine gute Möglichkeit, Freunde außerhalb des Eishockeys kennenzulernen und was fürs Leben mitzunehmen“, findet auch die Co-Trainerin der Eisbärinnen, Kathrin Fring, die hauptsächlich dafür verantwortlich zeichnet, dass beide Spielerinnen in Berlin spielen und im SLZB wohnen und zur Schule gehen.
Die 38-Jährige wohnte selbst dort und hat Freundschaften fürs Leben geschlossen. „Das Internat bietet den Sportlerinnen zum einen natürlich die Nähe zur Schule und durch die Betreuer alternative Ansprechpartner. Außerdem gibt es durch den Senat hier auch eine Förderung, sodass nicht alle Kosten durch die Sportlerinnen selbst getragen werden müssen.“
Die Erzieherinnen im Internat sind Ansprechpersonen und bieten ganz praktische Unterstützung, wie bei der Ausgabe von Waschmarken zum Beispiel. Es wird allerdings auch auf die Noten geachtet und einmal in der Woche werden die Zimmer kontrolliert. „Donnerstag ist Putztag“, erzählt Pietschmann. „Da muss alles aufgeräumt, Bad geputzt, Staub gesaugt, Müll rausgebracht werden und dann werden die Zimmer kontrolliert.“ Beide Eisbärinnen bereuen es nicht, von zu Hause ausgezogen zu sein, auch wenn sie ihre Familien vermissen. Die Bedingungen in Hohenschönhausen sind einfach zu gut für die Entwicklung. Viermal Eistraining in der Woche ist schon ein Spitzenwert in der Deutschen Frauen-Eishockey Liga (DFEL). Hinzu kommen Krafteinheiten mit einem eigens darauf spezialisierten Coach.
Ein gutes Abitur ist die Voraussetzung für die Karriere Und in der Schule konnten Pietschmann und Müller-Maldonado neben ihren Leistungskursen Deutsch und Englisch, Sport wählen. Dadurch trainieren sie zusätzlich noch zweimal in der Woche morgens mit der U17 der Eisbären Juniors. Wobei das auch schon der einzige Wermutstropfen sein dürfte. Diese beiden Einheiten starten um 7 Uhr morgens, was bedeutet, um 05:30 Uhr aufstehen zu müssen – wer hoch hinaus will. „Ansonsten haben wir aber viel Zeit, mal durchzuatmen oder einen kleinen Powernap zu machen“, erzählt Müller-Maldonado. Das liegt einerseits an der Nähe zur Schule und zum Training, andererseits aber auch an der Streckung der Abiturinhalte auf drei Jahre.
„Wenn ich kein gutes Abitur mache, dann wird es viel schwieriger mit dem Eishockey“, sagt Pietschmann. Zumindest direkt nach dem Abi könne man Eishockey mit einem Studium besser unter einen Hut bringen als mit einer Ausbildung. Sie überlegt aber auch, r dem Beginn des Studiums ein Auslandsjahr einzulegen. Nicht am College wie Müller-Maldonado, weil sie etwas skeptischer bezüglich eines Stipendiums ist und die Gebühren dort sehr hoch sind. Schweden oder die Schweiz fände sie auch spannend.
Danach peilt sie ein Studium in Psychologie an, mit der Spezialisierung auf Wirtschaft. „Ich würde gerne Medizin studieren und Unfallchirurgin werden“, sagt Müller-Maldonado. Hohe Ziele, die mit einem weiteren gut zusammenpassen: Olympia mit dem Frauen-Nationalteam ist der Traum beider Eisbärinnen. Das Ziel Olympia ist eins, das man quasi am SLZB mit auf den Weg bekommt, wenn es nicht schon im Kopf herumschwirrt, bevor die Sporttreibenden, frühestens in Klasse fünf, auf die Schule wechseln. Sechzehn Sportarten sind hier vertreten. Und Elisa Pietschmann und Siena Müller-Maldonado fühlen sich richtig wohl an der Eliteschule des Sports.

Daniel Goldstein | Tagesspiegel 29.12.2023